The Broken Piano In 1975

Author
Marti Leimbach
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Image of the WeekDas zerbrochene Klavier 1975
-von Marti Leimbach

Mein Lieblingsstück ist Keith Jarretts Köln Concert, ein einstündiges Stück, das, wie alle Konzerte Jarretts, auf einem Soloklavier vor einem Live-Publikum improvisiert wird. Sie kennen die Geschichte, oder?

Für das Konzert hatte er ein bestimmtes Klavier verlangt, ein Bösendorfer. Die ersten Bösendorfer Klaviere wurden in Wien zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts gebaut. Es soll das erste Konzertpiano gewesen sein, das der Spieltechnik des jungen Virtuosen Franz Liszt standhalten konnte, dessen harte, unnachgiebige Behandlung der von ihm gespielten Klaviere diese in kurzer Zeit völlig ruinierte. Vielleicht war die Langlebigkeit des Bösendorfers der Grund dafür, dass Jarrett eines für das Konzert anforderte. Der 29-jährige Jazzmusiker war bekannt für seine exzentrische Bühnenkunst, seine Improvisationen spielten mit enormer Athletik und Körperlichkeit. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass er grob mit einem Instrument umgeht, dass er unkonventionell spielt, sogar wild über die Tasten rast, aufsteht, sitzt, sich anlehnt, keucht, jammert. Seine Darbietungen bewegen ihn - und jeden, der ihm zuhört - durch die Unordnung und das Wunder der kreativen Anstrengung. Ihm zuzuschauen bedeutet, dem Genie selbst zuzuschauen, jenem rohen Werk, das nur von seinen Nachahmern aufgeräumt wird.

Kurz gesagt, er braucht ein gutes Klavier.

24. Januar 1975. Jarrett kommt am Nachmittag des Konzerts am Veranstaltungsort an, es wird ihm das Bösendorfer gezeigt. Er steht mit Manfred Eicher davor, dem Mann, der eines Tages ECM Records gründen wird und der Jarretts ausverkaufte Konzerttournee arrangiert hat. Das Klavier, das er für das Konzert bekommen hat, ist zwar ein Bösendorfer, aber es ist kümmerlich, uralt, völlig ungeeignet.

Jarrett schlägt ein paar Tasten an und stellt fest, dass es nicht nur die falsche Größe hat und nicht in der Lage ist, genügend Lautstärke für eine Konzertaufführung zu erzeugen, sondern auch völlig verstimmt ist. Die schwarzen Tasten funktionieren nicht alle. Die hohen Töne sind blechern, die Basstöne klingen kaum, und die Pedale bleiben haften.

Eicher teilt der Organisatorin, einer Jugendlichen namens Vera Brandes, mit, dass das Klavier ungeeignet sei. Entweder sie bekommen ein neues Klavier für Jarrett, oder es wird kein Konzert geben.

Panisch setzt das Mädchen alle Hebel in Bewegung, ein anderes Klavier zu bekommen, aber ohne Erfolg. Es gelingt ihr, einen ortsansässigen Klavierstimmer davon zu überzeugen, sich um das Bösendorfer zu kümmern, doch am Gesamtzustand des Instruments kann man nicht viel ändern.

Zu guter Letzt erklärt sich Jarrett bereit, zu spielen. Nicht, weil das Klavier so weit repariert war, dass er sich beim Spielen wohl fühlen würde, sondern weil er Mitleid mit der armen, jungen Vera Brandes hatte, die gerade siebzehn Jahre alt ist und nicht in der Lage ist, einen so großen Misserfolg zu schultern, wie den Verlust des einzigen Interpreten an einem ausverkauften Abend.

Also spielt er auf diesem schrecklichen Instrument. Er tut, was er tun muss, nicht weil er glaubt, dass es gut sein wird, sondern weil er das Gefühl hat, keine Wahl zu haben.

Tim Harford [beschrieb es am besten]: "Das minderwertige Instrument zwang Jarrett von den blechernen hohen Tönen weg in die mittlere Lage. Seine linke Hand erzeugte rumpelnde, sich wiederholende Bassriffs, um die fehlende Resonanz des Klaviers zu vermitteln. Beide Elemente verliehen der Darbietung eine fast tranceartige Qualität."

Jarrett überwand den Mangel an Lautstärke, indem er aufstand und sehr hart Klavier spielte. Er stand, saß, stöhnte, krümmte sich und schlug auf die Klaviertasten ein. Man kann ihn auf der Aufnahme hören, die Qualen der Musik, sein Bemühen, überhaupt einen Ton zu erzeugen. Er schwitzte aus, was eine qualvolle Stunde gewesen sein muss, und er triumphierte. Das Kölner Konzert hat sich 3,5 Millionen Mal verkauft und ist vielleicht das schönste, verwandelndste Musikstück, das ich je gehört habe. Es bringt mich zum Weinen, wenn ich es höre, vor allem, wenn ich mich an den Mut erinnere, den es ihm abverlangt hat, vor einem Live-Publikum auf einem unspielbaren Klavier mit diesem verzweifelten Mädchen aufzutreten, das die Hände ringt und bange hofft, dass er nicht vom Hocker aufsteht und hinausgeht. Hoffend, dass niemand ihr großes Versagen bemerkt hat, das richtige Klavier für diesen wichtigsten Anlass zu besorgen. [...]

Keith Jarett sagte später: "Was mit diesem Klavier geschah, war, dass ich gezwungen war, auf eine - damals - neue Art zu spielen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich die Qualitäten, die dieses Instrument hatte, zur Geltung bringen musste. Und das war alles. Mein Gefühl war: 'Ich muss das tun. Ich tue es. Es ist mir egal, wie das Klavier klingt. Ich tue es. Und ich tat es."

________________________________________________________Kernfragen zur Reflexion: Wie beurteilen Sie die Öffnung, die dadurch entsteht, dass wir die Realität der Situation vollständig akzeptieren und sie zur Grundlage unserer Schöpfung machen? Können Sie eine persönliche Geschichte über eine Zeit erzählen, in welcher Sie auf der Grundlage der Realität, die vor Ihnen liegt, kreativ tätig werden konnten? Was hilft Ihnen, im Einklang mit der Realität kreativ zu sein?

Auszug aus diesem Artikel. Mehr über Keith Jarrett und das Köln Concert.

 

Excerpted from this article.  More about Keith Jarrett and the Köln Concert.


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